Laufzeit: |
1.9. 2017 – 31.12.2020 |
Finanzierung: |
Finanziert durch das BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung
(Förderkennzeichen 01NV1704, Projektleitung Susanne Prediger & Jan Kuhl). |
Projektteam: |
- Mathematikdidaktik: Prof. Dr. Susanne Prediger, Dr. Christian Büscher, Sarah Buró, Claudia Ademmer
- Sonderpädagogik: Prof. Dr. Jan Kuhl, Imke Pulz, Dr. Claudia Wittich, Sarah Schulze
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Hintergrund: |
Die durch inklusiven Unterricht gestiegenen fachdidaktischen und sonderpädagogischen Anforderungen stellen Lehrkräfte vor große Herausforderungen. Die systematische Entwicklung und Beforschung von Fortbildungen können einen Beitrag liefern, diese Herausforderungen zu bewältigen. Mathematik ist für Untersuchungen zur Professionalisierung von Lehrkräften der Sekundarstufe insofern ein geeignetes Fach, als bereits substantielle Forschungs- und Entwicklungsarbeiten vorliegen, auf die für die Sekundarstufe aufgebaut und für die Professionalisierungsforschung zurückgegriffen werden kann. |
Zentrale Forschungsfragen: |
- Inwiefern wird ein Unterrichtskonzept für den inklusiven Mathematikunterricht lernwirksam, das heterogene Lernvoraussetzungen (mathematisches Vorwissen, Sprachkompetenz, Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeitssteuerung sowie metakognitive Regulation) systematisch berücksichtigt?
- Welche Expertise zeigen, brauchen und entwickeln Lehrkräfte im Rahmen der Fortbildung, um im inklusiven Mathematikunterricht die genannten heterogenen Lernvoraussetzungen zu berücksichtigen?
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Stichprobe und Methodik: |
Das interdisziplinäre, mathematikdidaktisch-sonderpädagogische Professionalisierungs- und Forschungsvorhaben MATILDA entwickelte und erforschte dazu eine sechsmonatige Fortbildung (bzw. ihrer Verschriftlichung in einer 54-seitigen Handreichung) auf Lehrkräfte- und Lernendenebene. Adressiert wurden Lehrkräfte mit sonderpädagogischer oder regelschulbezogener Ausbildung (kurz: Förder- und Regellehrkräfte) der Sekundarstufe in multiprofessionellen Tandems. Im Zentrum der Fortbildung stand eine inklusive Unterrichtseinheit (zur Prozentrechnung und ihren Verstehensgrundlagen, vgl. Pöhler, Prediger & Strucksberg 2018), die die Lehrkräfte erprobten und systematisch reflektierten. In einem aufwendigen Mixed-Methods-Design wurden
(a) ein interdisziplinäres Fortbildungsdesign iterativ entwickelt
(b) die Fortbildungsbedarfe und Professionalisierungsprozesse der Lehrkräfte qualitativ rekonstruiert
(c) die Wirksamkeit des Fortbildungsdesigns für die Professionalisierung der Lehrkräfte und
(d) die Wirksamkeit des Fortbildungs- und Unterrichtskonzeptes für die Lernzuwächse der Schülerinnen und Schüler quantitativ untersucht.
Die Lernstände und Fortbildungsbedarfe sowie die Professionalisierungsprozesse von insgesamt N = 82 Lehrkräften wurden in drei Designexperimentzyklen und qualitativen Erhebungen durch Interviews, Unterrichtsvideobeobachtungen und Videographie der Fortbildungssitzungen ermittelt, um das inklusionsspezifische Expertisemodell auszuformulieren und in die Gestaltung der Fortbildung einzuspeisen. Auf Lernenden-Ebene wurde die Wirksamkeit des Fortbildungs- und Unterrichtskonzepts quantitativ untersucht in zwei quasi-experimentellen Prä-Post-Designs mit N = 204 Lernenden und 25 Lehrkräften (in der Pilotstudie) und N = 1191 Lernenden und 57 Lehrkräften (in der Hauptstudie). |
Zentrale Ergebnisse: |
Die qualitativen Analysen zeigten die komplexen Anforderungen im inklusiven Unterricht, diese wurden im dafür entwickelten Job-Ability-Framework charakterisiert bzgl. der vielfältige Praktiken, Orientierungen und Kategorien, die unterschiedliche inklusionsbezogene Expertise der Lehrkräfte kennzeichnet (Prediger & Buró 2021; Prediger & Buró im Druck; Büscher 2021). Die relevanten Bereiche wurden in die Fortbildungen integriert (Prediger et al. 2020). Die qualitative Analyse von Schriftprodukten und Videos aus den Fortbildungen gibt erste Hinweise auf weitere Professionalisierungsbedarfe, aber auch die mögliche Entwicklung von Lehrkräften hin zu inklusiven Orientierungen und einem reicheren Repertoire an Förder- und Unterstützungspraktiken (ebda.).
In der quantitativen Fragebogenstudie auf Lehrenden-Ebene lassen sich die qualitativ rekonstruierten Weiterentwicklungen nur teilweise nachweisen (Kuhl, Wittich & Prediger, eingereicht): Zwischen Vor- und Nacherhebung zeigten sich in der Wartekontrollgruppe kaum Änderungen in den Relevanzeinschätzungen zu individuumsbezogenen, klassenbezogenen und gegenstandsbezogenen Aspekten inklusiven Unterrichts. Bei den Matilda-Lehrkräften zeigte sich dagegen eine sichtbare Veränderung in die intendierte Richtung (von MVor = 170.22 auf MNach = 177.13), die allerdings trotz einer mittleren Effektstärke nicht signifikant wurde (mit FZeit (1,21) = 2.85, p = .11, eta2 = .12). Die Selbstwirksamkeitserwartungen der Matilda-Lehrkräfte wuchsen von der Vor- zur Nacherhebung (von MVor = 36.61 auf MNach = 39.83) mit mittlerem Effekt, nicht jedoch bei der Warte-Kontrollgruppe. Insgesamt bestätigen die quantitativen Daten auf Lehrkräfte-Ebene damit die qualitativen Befunde, dass es einige Lernfortschritte gab, aber Expertise für die Komplexität inklusiven Unterricht über längere Zeit aufgebaut werden muss und in fünf Sitzungen nicht vollständig erreicht wurde.
Auf Lernenden-Ebene zeigte die Pilotstudie (Kuhl, Prediger, Schulze, Wittich & Pulz eingereicht) ebenso wie die Hauptstudie (Prediger, Kuhl, Schulze, Pulz, Wittich, Ademmer & Büscher eingereicht), dass das Matilda-Unterrichtskonzept auf Ebene der Lernenden lernwirksamer ist als der Unterricht mit herkömmlichem Schulbuch in der Kontrollgruppe. Dabei profitierten in der Hauptstudie (Prediger et al. eingereicht) die Klassen der Lehrkräfte von den schriftlichen Unterstützungs- und Fortbildungsangeboten durch ausgearbeitete Unterrichtsmaterialien (Pöhler et al. 2018) und Handreichungen (Prediger et al. 2019).
Insgesamt konnte so ein interdisziplinär angelegtes inklusives Unterrichtskonzept als lernwirksam nachgewiesen werden. Zudem wurde ein inklusionsbezogenes Expertisemodell ausdifferenziert und in der Fortbildung systematisch gefördert, beides belegt die hohen Potentiale interdisziplinärer Zusammenarbeit auf Unterrichts- und Fortbildungsebene. Anschlussforschung ist notwendig, um die Grenzen der bislang erreichten Veränderungen unterrichtlicher Praktiken und zugrundeliegender Orientierungen noch weiter auszuweiten. |
Wissenschaftliche Publikationen: |
- Prediger, S., Kuhl, J., Büscher, C. & Buró, S. (2020). Mathematik inklusiv lehren lernen: Entwicklung eines forschungsbasierten interdisziplinären Fortbildungskonzepts. Journal für Psychologie, 28(2), 288-312. doi:10.30820/0942-2285-2019-2-288
- Kuhl, J., Wittich, C. & Prediger, S. (im Druck). Professionalisierung von Lehrkräften für inklusiven Mathematikunterricht: Design und Evaluation einer mathematikdidaktisch-sonderpädagogischen Fortbildung. In D. Katzenbach et al. (Hrsg.), Fortbildung von pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung in der Sekundarstufe (Arbeitstitel). Waxmann: Münster.
- Büscher, C. (2021). Teachers’ Adaptions of the Percentage Bar Model for Creating Different Learning Opportunities. International Electronic Journal of Mathematics Education, 16(3), em0643. doi:10.29333/iejme/10942
- Kuhl, J., Prediger, S., Schulze, S., Wittich, C. & Pulz, I. (in Druck). Inklusiver Mathematikunterricht in der Sekundarstufe – Eine Pilotstudie zur Prozentrechnung. Unterrichtswissenschaft.
- Prediger, S. & Buró, R. (2021, online first). Fifty ways to work with students’ diverse abilities? A video study on inclusive teaching practices in secondary mathematics classrooms. International Journal of Inclusive Education. doi: 10.1080/13603116.2021.1925361
- Prediger, S. & Buró, S. (2021). Selbstberichtete Praktiken von Lehrkräften im inklusiven Mathematikunterricht - Eine Interviewstudie. Journal für Mathematikdidaktik, 42(1), 187-217. doi:10.1007/s13138-020-00172-1
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Praxispublikationen
aus dem Projekt
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- Prediger, S., Strucksberg, J., Ademmer, C., Pöhler, B., Buró, S., Kuhl, J. Wittich, C., Pulz, I. & Schulze, S. (2019). Matilda-Handreichung zum inklusiven Prozente-Unterricht. Open Educational Ressource. Dortmund: DZLM. sima.dzlm.de/um/7-001.
- Prediger, S. & Ademmer, C. (2019). Gemeinsam zum Volumen von Quadern: Eine inklusive und sprachsensible Unterrichtsreihe. Mathematik lehren, 214, 13-18.
- Pöhler, B., Prediger, S. & Strucksberg, J. (2018). Prozente verstehen: Fach- und sprachintegrierte, inklusive Unterrichtseinheit in Basis- und Regelfassung. Open Educational Ressource. Dortmund: DZLM. sima.dzlm.de/um/7-001.
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